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 Das Mitdasein der Anderen...

Martin Heidegger

池田光穂

§ 26. Das Mitdasein der Anderen und das alltägliche Mitsein

(S.117) Die Antwort auf die Frage nach dem Wer des alltäglichen Daseins soll in der Analyse der Seinsart gewonnen werden, darin das Dasein zunächst und zumeist sich hält. Die Untersuchung nimmt die Orientierung am In-der-Welt-sein, durch welche Grundverfassung des Daseins jeder Modus seines Seins mitbestimmt wird. Wenn wir mit Recht sagten, durch die vorstehende Explikation der Welt seien auch schon die übrigen Strukturmomente des In-der-Welt-seins in den Blick gekommen, dann muß durch sie auch die Beantwortung der Wer-frage in gewisser Weise vorbereitet sein.

Die »Beschreibung« der nächsten Umwelt, zum Beispiel der Werkwelt des Handwerkers, ergab, daß mit dem in Arbeit befindlichen Zeug die anderen »mitbegegnen«, für die das »Werk« bestimmt ist. In der Seinsart dieses Zuhandenen, das heißt in seiner Bewandtnis liegt eine wesenhafte Verweisung auf mögliche Träger, denen es auf den »Leib zugeschnitten« sein soll. Imgleichen begegnet im verwendeten Material der Hersteller oder »Lieferant« desselben als der, der gut oder schlecht »bedient«. Das Feld zum Beispiel, an dem wir (S.118) »draußen« entlang gehen, zeigt sich als dem und dem gehörig, von ihm ordentlich instand gehalten, das benutzte Buch ist gekauft" bei ... , geschenkt von ... und dergleichen. Das verankerte Boot am Strand verweist in seinem An-sich-sein auf einen Bekannten, der damit seine Fahrten unternimmt, aber auch als »fremdes Boot« zeigt es Andere. Die so im zuhandenen, umweltlichen Zeugzusammenhang »begegnenden « Anderen werden nicht etwa zu einem zunächst nur vorhandenen Ding hinzugedacht, sondern diese »Dinge« begegnen aus der Welt her, in der sie für die Anderen zuhanden sind, welche Welt im vorhinein auch schon immer die meine ist. In der bisherigen Analyse wurde der Umkreis des innerweltlich Begegnenden zunächst eingeengt auf das zuhandene Zeug bzw. die' vorhandene Natur, mithin auf Seiendes von nichtdaseinsmäßigem Charakter. Diese Beschränkung war nicht nur notwendig zu Zwecken der Vereinfachung der Explikation,
sondern vor allem deshalb, weil die Seinsart des innerweltlich begegnenden Daseins der Anderen sich von Zuhandenheit und Vorhandenheit unterscheidet. Die Welt des Daseins gibt demnach Seiendes frei, das nicht nur von Zeug und Dingen überhaupt verschieden ist, sondern gemäß seiner Seins art als Dasein selbst in der Weise des In-der-Welt-seins »in« der Welt ist, in der es zugleich innerweltlich begegnet. Dieses Seiende ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern ist so, wie das freigebende Dasein selbst - es ist auch und mit da. Wollte man denn schon Welt überhaupt mit dem innerweltlich Seienden identifizieren, dann müßte man sagen, »Welt« ist auch Dasein.

Die Charakteristik des Begegnens der Anderen orientiert sich so aber doch wieder am je eigenen Dasein. Geht nicht auch sie von einer Auszeichnung und Isolierung des »Ich« aus, so daß dann von diesem isolierten Subjekt ein Übergang zu den Anderen gesucht werden muß? Zur Vermeidung dieses Mißverständnisses ist zu beachten, in welchem Sinne hier von »den Anderen« die Rede ist. »Die Anderen« besagt nicht soviel wie: der ganze Rest der Übrigen außer mir, aus dem sich das Ich heraushebt, die Anderen sind vielmehr die, von denen man selbst sich zumeist nicht unterscheidet, unter denen man auch ist. Dieses Auch-da-sein mit ihnen hat nicht den ontologischen Charakter eines »Mit«-Vorhandenseins innerhalb einer Welt. Das »Mit«' ist ein Daseinsmäßiges, das »Auch« meint die Gleichheit des Seins als umsichtig-besorgendes In-der-Welt-sein. »Mit« und »Auch« sind existenzial und nicht kategorial zu verstehen. Auf dem Grunde dieses mithaften Inder- Welt-seins ist die Welt je schon immer die, die ich mit den Anderen teile. Die Welt des Daseins ist Mitwelt. Das In-Sein ist Mitsein mit Anderen. Das innerweltliche Ansichsein dieser ist Mitdasein.

(S. 119)Die Anderen begegnen nicht im vorgängig unterscheidenden Erfassen des zunächst vorhandenen eigenen Subjektes von den übrigen auch vorkommenden Subjekten, nicht in einem primären Hinsehen auf sich selbst, darin erst das Wogegen eines Unterschieds festgelegt wird. Sie begegnen aus der Welt her, in der das besorgend-umsichtige Dasein sich wesenhaft aufhält. Gegenüber den sich leicht eindrängenden theoretisch erdachten »Erklärungen« des Vorhandenseins Anderer muß an
dem aufgezeigten phänomenalen Tatbestand ihres umweltlichen Begegnens festgehalten werden. Diese nächste und elementare weltliche Begegnisart von Dasein geht so weit, daß selbst das eigene Dasein zunächst »vorfindlich« wird von ihm selbst im Wegsehen von, bzw. überhaupt noch nicht »Sehen« von »Erlebnissen« und »Aktzentrum«. Dasein findet »sich selbst« zunächst in dem, was es betreibt, braucht, erwartet, verhütet - in dem zunächst besorgten umweltlich Zuhandenen.

Und sogar wenn das Dasein sich selbst ausdrücklich anspricht als: Ich-hier, dann muß die örtliche Personbestimmung aus der existenzialen Räumlichkeit des Daseins verstanden werden. Bei der Interpretation dieser (§ 23) deuteten wir schon an, daß dieses Ich-hier nicht einen ausgezeichneten Punkt des Ichdinges meint, sondern sich versteht als In-Sein aus dem Dort der zuhandenen Welt, bei dem Dasein als Besorgen sich aufhält.

W. v. Humboldt [1] hat auf Sprachen hingewiesen, die das »Ich« durch »hier«, das »Du« durch »da«, das »Er« durch »dort« ausdrücken, die demnach - grammatisch formuliert - die Personalpronomina durch Ortsadverbien wiedergeben. Es ist strittig, welches wohl die ursprüngliche Bedeutung der Ortsausdrücke sei, die adverbiale oder die pronominale. Der Streit verliert den Boden, wenn beachtet wird, daß die Ortsadverbien Bezug haben auf das Ich qua Dasein. Das »hier«, »dort« und »da« sind primär keine reinen Ortsbestimmungen des innerweltlichen an Raumstellen vorhandenen Seienden, sondern Charaktere der ursprünglichen Räumlichkeit des Daseins. Die vermutlichen Ortsadverbien sind Daseinsbestimmungen, sie haben primär existenziale und nicht kategoriale Bedeutung. Sie sind aber auch keine Pronomina, ihre Bedeutung liegt vor der Differenz von Ortsadverbien und Personalpronomina; die eigentlich räumliche Daseinsbedeutung dieser Ausdrücke dokumentiert aber, daß die theoretisch unverbogene (S.120) Daseinsauslegung dieses unmittelbar in seinem räumlichen, das ist entfernend- ausrichtenden »Sein bei« der besorgten Welt sieht. Im »hier« spricht das in seiner Welt aufgehende Dasein nicht auf sich zu, sondern von sich weg auf das »dort« eines umsichtig Zuhandenen und meint doch sich in der existenzialen Räumlichkeit.

[1] Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen (1829). Ges. Schriften (herausg. von der Preuß. Akad. der Wiss.) Bd. VI, 1. Abt., S. 304-330.

(S.120)Dasein versteht sich zunächst und zumeist aus seiner Welt, und das Mitdasein der Anderen begegnet vielfach aus dem innerweltlich Zuhandenen her. Aber auch wenn die Anderen in ihrem Dasein gleichsam thematisch werden, begegnen sie nicht als vorhandene Persondinge, sondern wir treffen sie »bei der Arbeit«, das heißt primär in ihrem In-der-Welt-sein. Selbst wenn wir den Anderen »bloß herumstehen« sehen, ist er nie als vorhandenes Menschending erfaßt, sondern das »Herumstehen« ist ein existenzialer Seinsmodus: das unbesorgte, umsichtslose Verweüen bei Allem und Keinem. Der Andere begegnet in seinem Mitdasein in der Welt.

Aber der Ausdruck »Dasein« zeigt doch deutlich, daß dieses Seiende »zunächst« ist in der Unbezogenheit auf Andere, daß es nachträglich zwar auch noch »mit« anderen sein kann. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß wir den Terminus Mitdasein zur Bezeichnung des Seins gebrauchen, daraufhin die seienden Anderen innerweltlich freigegeben sind. Dieses Mitdasein der Anderen ist nur innerweltlich für ein Dasein und so auch für die Mitdaseienden erschlossen, weil das Dasein wesenhaft an ihm selbst Mitsein ist. Die phänomenologische Aussage: Dasein ist wesenhaft Mitsein hat einen existenzial-ontologischen Sinn. Sie will nicht ontisch feststellen, daß ich faktisch nicht allein vorhanden bin, vielmehr noch andere meiner Art vorkommen. Wäre mit dem Satz, daß das In-der-Welt-sein des Daseins wesenhaft durch das Mitsein konstituiert ist, so etwas gemeint, dann wäre das Mitsein nicht eine existenziale Bestimmtheit, die dem Dasein von ihm selbst her aus seiner Seinsart zukäme, sondern eine auf Grund des Vorkommens Anderer sich jeweils einstellende Beschaffenheit. Das Mitsein bestimmt existenzial das Dasein auch dann, wenn ein Anderer faktisch nicht vorhanden und wahrgenommen ist. Auch das Alleinsein des Daseins ist Mitsein in der Welt. Fehlen kann der Andere nur in einem und für ein Mitsein. Das Alleinsein ist ein defizienter Modus des Mitseins, seine Möglichkeit ist der Beweis für dieses. Das faktische Alleinsein wird andererseits nicht dadurch behoben, daß ein zweites Exemplar Mensch »neben« mir vorkommt oder vielleicht zehn solcher. Auch wenn diese und noch mehr vorhanden sind, kann das Dasein allein sein. Das Mitsein und die Faktizität des Miteinanderseins gründet (S.121) daher nicht in einem Zusammenvorkommen von mehreren »Subjekten «. Das Alleinsein »unter« Vielen besagt jedoch bezüglich des Seins
der Vielen auch wiederum nicht, daß sie dabei lediglich vorhanden sind. Auch im Sein »unter ihnen« sind sie mit da; ihr Mitdasein begegnet im Modus der Gleichgültigkeit und Fremdheit. Das Fehlen und »Fortsein« sind Modi des Mitdaseins und nur möglich, weil Dasein als Mitsein das Dasein Anderer in seiner Welt begegnen läßt. Mitsein ist eine Bestimmtheit des je eigenen Daseins; Mitdasein charakterisiert das Dasein Anderer, sofern es für ein Mitsein durch dessen Welt freigegeben ist. Das eigene Dasein ist nur, sofern es die Wesensstruktur des Mitseins hat, als für Andere begegnend Mitdasein.

(S.121) Wenn das Mitsein für das In-der-Welt-sein existenzial konstitutiv bleibt, dann muß es ebenso wie der umsichtige Umgang mit dem innerweltlich Zuhandenen, das wir vorgreifend. als Besorgen kennzeichneten, aus dem Phänomen der Sorge interpretiert werden, als welche das Sein des Daseins überhaupt bestimmt wird (vgl. Kap. 6 dieses Abschn.). Der Seins charakter des Besorgens kann dem Mitsein nicht eignen, obzwar diese Seinsart ein Sein zu innerweltlich begegnendem Seienden ist wie das Besorgen. Das Seiende, zu dem sich das Dasein als Mitsein verhält, hat aber nicht die Seinsart des zuhandenen Zeugs, es ist selbst Dasein. Dieses Seiende wird nicht besorgt, sondern steht in der Fürsorge.

Auch das »Besorgen« von Nahrung und Kleidung, die Pflege des kranken Leibes ist Fürsorge. Diesen Ausdruck verstehen wir aber entsprechendder Verwendung von Besorgen als Terminus für ein Existenzial. Die » Fürsorge« als faktische soziale Einrichtung zum Beispiel gründet in der Seinsverfassung des Daseins als Mitsein. Ihre faktische Dringlichkeit ist darin motiviert, daß das Dasein sich zunächst und zumeist in den defizienten Modi der Fürsorge hält. Das Für-, Wider-, Ohne-einandersein, das Aneinandervorbeigehen, das Einander-nichtsangehen sind mögliche Weisen der Fürsorge. Und gerade die zuletzt genannten Modi der Defizienz und Indifferenz charakterisieren das alltägliche und durchschnittliche Miteinandersein. Diese Seinsmodi
zeigen wieder den Charakter der Unauffälligkeit und Selbstverständlichkeit, der dem alltäglichen innerweltlichen Mitdasein Anderer ebenso eignet wie der Zuhandenheit des täglich besorgten Zeugs. Diese indifferenten Modi des Miteinanderseins verleiten die ontologische Interpretation leicht dazu, dieses Sein zunächst als pures Vorhandensein mehrerer Subjekte auszulegen. Es scheinen nur geringfügige Spielarten derselben Seins art vorzuliegen und doch besteht ontologisch zwischen dem »gleichgültigen« Zusammenvorkommen beliebiger Dinge und dem (S.122) Einander-nichts-angehen miteinander Seiender ein wesenhafter Unterschied.

(S.122) Die Fürsorge hat hinsichtlich ihrer positiven Modi zwei extreme Möglichkeiten. Sie kann dem Anderen die »Sorge« gleichsam abnehmen und im Besorgen sich an seine Stelle setzen, für ihn einspringen. Diese Fürsorge übernimmt das, was zu besorgen ist, für den Anderen. Dieser wird dabei aus seiner Stelle geworfen, er tritt zurück, um nachträglich das Besorgte als fertig Verfügbares zu übernehmen, bzw. sich ganz davon zu entlasten. In solcher Fürsorge kann der Andere zum Abhängigen und Beherrschten werden, mag diese Herrschaft auch eine stillschweigende sein und dem Beherrschten verborgen bleiben. Diese einspringende, die »Sorge« abnehmende Fürsorge bestimmt das Miteinandersein in weitem Umfang, und sie betrifft zumeist das Besorgen des Zuhandenen.

Ihr gegenüber besteht die Möglichkeit einer Fürsorge, die für den Anderen nicht so sehr einspringt, als daß sie ihm in seinem existenziellen Seinkönnen vorausspringt, nicht um ihm die »Sorge« abzunehmen, sondern erst eigentlich als solche zurückzugeben. Diese Fürsorge, die wesentlich die eigentliche Sorge - das heißt die Existenz des Anderen betrifft und nicht ein Was, das er besorgt, verhilft dem Anderen dazu, in seiner Sorge sich durchsichtig und für sie frei zu werden.

Die Fürsorge erweist sich als eine Seinsverfassung des Daseins, die nach ihren verschiedenen Möglichkeiten mit dessen Sein zur besorgten Welt ebenso wie mit dem eigentlichen Sein zu ihm selbst verklammert ist. Das Miteinandersein gründet zunächst und vielfach ausschließlich in dem, was in solchem Sein gemeinsam besorgt wird. Ein Miteinandersein, das daraus entspringt, daß man dasselbe betreibt, hält sich meist nicht nur in äußeren Grenzen, sondern kommt in den Modus von Abstand und Reserve. Das Miteinandersein derer, die bei derselben Sache angestellt sind, nährt sich oft nur von Mißtrauen. Umgekehrt ist das gemeinsame Sicheinsetzen für dieselbe Sache aus dem je eigens ergriffenen Dasein bestimmt. Diese eigentliche Verbundenheit ermöglicht erst die rechte Sachlichkeit, die den Anderen in seiner Freiheit für ihn selbst freigibt.

Zwischen den beiden Extremen der positiven Fürsorge - der einspringend- beherrschenden und der vorspringend-befreienden - hält sich das alltägliche Miteinandersein und zeigt mannigfache Mischformen, deren Beschreibung und Klassifikation außerhalb der Grenzen dieser Untersuchung liegen.

(S.123) Wie dem Besorgen als Weise des Entdeckens des Zuhandenen die Umsicht zugehört, so ist die Fürsorge geleitet durch die Rücksicht und Nachsicht. Beide können mit der Fürsorge die entsprechenden defizienten und indifferenten Modi durchlaufen bis zur Rücksichtslosigkeit und dem Nachsehen, das die Gleichgültigkeit leitet.

Die Welt gibt nicht nur das Zuhandene als innerweltlich begegnendes Seiendes frei, sondern auch Dasein, die Anderen in ihrem
Mitdasein. Dieses umweltlich freigegebene Seiende ist aber seinem eigensten Seins-sinn entsprechend In-Sein in derselben Welt, in der es, für andere begegnend, mit da ist. Die Weltlichkeit wurde interpretiert (§ 18) als das Verweisungsganze der Bedeutsamkeit. Im vorgängig verstehenden Vertrautsein mit dieser läßt das Dasein Zuhandenes als in seiner Bewandtnis Entdecktes begegnen. Der Verweisungszusammenhang der Bedeutsamkeit ist festgemacht im Sein des Daseins zu seinem eigensten Sein, damit es wesenhaft keine Bewandtnis haben kann, das vielmehr das Sein ist, worumwillen das Dasein selbst ist, wie es ist.

Nach der jetzt durchgeführten Analyse gehört aber zum Sein des Daseins, um das es ihm in seinem Sein selbst geht, das Mitsein mit Anderen. Als Mitsein »ist« daher das Dasein wesenhaft umwillen Anderer. Das muß als existenziale Wesensaussage verstanden werden. Auch wenn das jeweilige faktische Dasein sich an Andere nicht kehrt, ihrer unbedürftig zu sein vermeint, oder aber sie entbehrt, ist es in der Weise des Mitseins. Im Mitsein als dem existenzialen Umwillen Anderer sind diese in ihrem Dasein schon erschlossen. Diese mit dem Mitsein vorgängig konstituierte Erschlossenheit der Anderen macht demnach auch die Bedeutsamkeit, d. h. die Weltlichkeit mit aus, als welche sie im existenzialen Worum-willen festgemacht ist. Daher läßt die so konstituierte Weltlichkeit der Welt, in der das Dasein wesenhaft je schon ist, das umweltlich Zuhandene so begegnen, daß in eins mit ihm als umsichtig Besorgtem das Mitdasein Anderer begegnet. In der Struktur der Weltlichkeit der Welt liegt es, daß die Anderen nicht zunächst als freischwebende Subjekte vorhanden sind neben anderen Dingen, sondern in ihrem umweltlichen besorgenden Sein in der Welt aus dem in dieser Zuhandenen her sich zeigen.

Die zum Mitsein gehörige Erschlossenheit des Mitdaseins Anderer . besagt: im Seinsverständnis des Daseins liegt schon, weil sein Sein Mitsein ist, das Verständnis Anderer. Dieses Verstehen ist, wie Verstehen überhaupt, nicht eine aus Erkennen erwachsene Kenntnis, sondern eine ursprünglich existenziale Seinsart, die Erkennen und Kenntnis (S.124) allererst möglich macht. pas Sichkennen gründet in dem ursprünglich verstehenden Mitsein. Es bewegt sich zunächst gemäß der nächsten Seinsart des mitseienden In-der-Welt-seins im verstehenden Kennen dessen, was das Dasein mit den Anderen umweltlich umsichtig vorfindet und besorgt. Aus dem Besorgten her und mit dem Verstehen seiner ist das fürsorgende Besorgen verstanden. Der Andere ist so zunächst in der besorgenden Fürsorge erschlossen.

Weil nun aber zunächst und zumeist die Fürsorge sich in den defizienten oder zum mindesten indifferenten Modi aufhält - in der
Gleichgültigkeit des Aneinandervorbeigehens -, bedarf das nächste und wesenhafte Sichkennen eines Sichkennenlernens. Und wenn gar das Sichkennen sich verliert in die Weisen der Zurückhaltung, des Sichversteckens und Verstellens, bedarf das Miteinandersein besonderer Wege, um den Anderen nahe, bzw. »hinter sie« zu kommen.

Aber so wie das Sichoffenbaren, bzw. Verschließen in der jeweiligen Seinsart des Miteinanderseins gründet, ja nichts aJ?deres als diese selbst ist, erwächst auch das ausdrückliche fürsorgende Erschließen des Anderen je nur aus dem primären Mitsein mit ihm. Solches obzwar thematisches, aber nicht theoretisch-psychologisches Erschließen des Anderen wird nun leicht für die theoretische Problematik des Verstehens »fremden Seelenlebens« zu dem Phänomen, das zunächst in den Blick kommt. Was so phänomenal »zunächst« eme Weise des verstehenden Miteinanderseins darstellt, wird aber zugleich als das genommen, was »anfänglich« und ursprünglich überhaupt das Sein zu Anderen ermöglicht und konstituiert. Dieses nicht eben glücklich als »Einfühlung« bezeichnete Phänomen soll dann ontologisch gleichsam erst die Brücke schlagen von dem zunächst allein gegebenen eigenen Subjekt zu dem zunächst überhaupt verschlossenen anderen Subjekt.

Das Sein zu Anderen ist zwar ontologisch verschieden vom Sein zu vorhandenen Dingen. Das »andere« Seiende hat selbst die Seinsart des Daseins. Im Sein mit und zu Anderen liegt demnach ein Seinsverhältnis von Dasein zu Dasein. Dieses Verhältnis, möchte man sagen, ist aber doch schon konstitutiv für das je eigene Dasein, das von ihm selbst ein Seinsverständnis hat und so sich zu Dasein verhält. Das Seinsverhältnis zu Anderen wird dann zur Projektion des eigenen Seins zu sich selbst »in ein Anderes«. Der Andere ist eine Dublette des Selbst.

Aber es ist leicht zu sehen, daß diese scheinbar selbstverständliche Überlegung auf schwachem· Boden ruht. Die in Anspruch genommene Voraussetzung dieser Argumentation, daß das Sein des (S.125) Daseins zu ihm selbst das Sein zu einem Anderen sei, trifft nicht zu. Solange diese Voraussetzung sich nicht evident in ihrer Rechtmäßigkeit erwiesen hat, so lange bleibt es. rätselhaft, wie sie das Verhältnis" des Daseins zu ihm selbst dem Anderen als Anderem erschließen soll.

Das Sein zu Anderen ist nicht nUr ein eigenständiger, irreduktibler Seins bezug, er ist als Mitsein mit dem Sein des Daseins schon seiend. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß das auf dem Grunde des Mitseins lebendige Sich-gegenseitig-kennen ·oft abhängig ist davon, wie weit das eigene Dasein jeweilig sich selbst verstanden hat; das besagt aber nur, wie weit es das wesenhafte Mitsein mit Anderen sich durchsichtig gemacht und nicht verstellt hat, was nur möglich ist, wenn Dasein als In-der-Welt-sein je schon mit Anderen ist. ,.Einfühlung « konstituiert nicht erst das Mitsein, sondern ist auf dessen Grunde erst möglich und durch die vorherrschenden defizienten Modi des Mitseins in ihrer Unumgänglichkeit motiviert.

Daß die »Einfühlung« kein ursprüngliches existenziales Phänomen ist, so wenig wie Erkennen überhaupt, besagt aber nicht, es bestehe bezüglich ihrer kein Problem. Ihre spezielle Hermeneutik wird zu zeigen haben, wie die verschiedenen Seinsmöglichkeiten des Daseins selbst das Miteinandersein und dessen Sichkennen mißleiten und verbauen, so daß ein echtes »Verstehen« niedergehalten- wird und das Dasein zu Surrogaten die Zuflucht nimmt; welche positive existenziale Bedingung rechtes Fremdverstehen für. seine Möglichkeit voraussetzt. Die Analyse hat gezeigt: Das Mitsein ist ein existenziales Konstituens
des In-der-Welt-seins. Das Mitdasein erweist sich als eigene Seinsart von innerweltlich begegnendem Seienden. Sofern Dasein überhaupt ist, hat es die Seinsart des Miteinanderseins. Dieses kann nicht als summatives Resultat des Vorkommens mehrerer »Subjekte« begriffen werden. Das Vorfinden einer Anzahl von »Subjekten« wird selbst nur dadurch möglich, daß die zunächst in ihrem Mitdasein begegnenden Anderen lediglich noch als »Nummern« behandelt werden. Solche Anzahl wird nur entdeckt durch ein bestimmtes Mit- und Zueinandersein. Dieses »rücksichtslose« Mitsein »rechnet« mit den Anderen, ohne daß es ernsthaft »auf sie zählt« oder auch nur mit ihnen »zu tun haben« möchte.

Das eigene Dasein ebenso wie das Mitdasein Anderer· begegnet zunächst und zumeist aus der umweltlich besorgten Mitwelt. Das Dasein ist im Aufgehen in der besorgten Welt, das heißt zugleich im Mitsein zu den Anderen, nicht es selbst. Wer ist es denn, der das Sein als alltägliches Miteinandersein übernommen hat?

Heidegger, Martin, "Sein und Zeit," Tübingen : M. Niemeyer., 2006.


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